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#1
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Auferstanden aus Ruinen
gegen jede Abweichung vom Historischen,
gegen jede Anspielung auf zeitgenossische Architektur stemmen. Nur einer ist dabei, der Stadt einen sichtbaren Kontrapunkt zu setzen: Daniel Libes - kind. Der amerikanische Architekt baut derzeit das Militarhistorische Museum der Bundeswehr um, ein uber hundert Jahre altes klassizistisches Ensemble. Mitten hin - ein pflanzt Libeskind einen 30 Meter hohen, neben dem Eingang aufragenden spitzen Keil, der das Gebaude nach au?en hin teilt, sich im Inneren aber mit ihm verbindet. Der storende Dorn weist uber den Fluss hinweg direkt auf die Dresdner Altstadt. Vielleicht helfen solche Beispiele, Gegner und Liebhaber moderner Bauten zu versohnen, das Neue sinnvoll im Alten sichtbar zu machen. Denn bedenkenswert sind jene Einwande schon, die gegen eine uferlose und unreflektierte Rekonstruktion historischer Gebaude vorgebracht werden. Vor einer „Retrowelt“, in der nicht mehr sei, was es scheine, warnt Architekturkritiker Pehnt. In vielen Stadten prasentiere sich heute das, was Historisches darstellen solle, neu wie am ersten Tag. Ein Paradox: „Nur das, was makellos erscheint, ist alt, sonst ware es ja renoviert worden“, so Pehnt. Er pladiert dafur, behutsamer und nachdenklicher vorzugehen, „das Vorhandene aufzunehmen, ohne das Neue zu verleugnen“. Meisterlich gelungen ist dies dem britischen Architekten David Chipperfield mit einem der uber Jahre umstrittensten Bauvorhaben der Republik: dem Neuen Museum in Berlin. Das vor einem halben Jahr eroffnete Haus, in dem originale Bauteile mit modernem Material verknupft und Folgen von Verwitterung und Krieg konserviert werden, beweist eine eindrucksvolle Synthese von Alt und Neu, von Ruinenkultur und zeitgenossischem Bauen. Dabei steht das Neue Museum wie die ganze wiedervereinigte Stadt fur die Bruche in der wechselhaften deutschen Geschichte. Aufstieg, Niedergang und Wiederaufbau, Humanismus, Gro?enwahn und Barbarei haben an vielen Orten ihre sichtbaren Spuren hinterlassen. Die Verwerfungen und Wunden bewusst nicht von der Sehnsucht nach dem Alten und (vermeintlich) Heilen uberdecken zu lassen, sondern sich – siehe Holocaust- Mahnmal – auch der Schande zu bekennen, die eigene Vergangenheit gewisserma?en zu kommentieren: Das demonstriert Berlin ziemlich konsequent. Der Reiz der Hauptstadt fur jahrlich fast acht Millionen Besucher aus aller Welt geht gerade davon aus, dass sich hier wie nirgendwo sonst in Deutschland Zeitgeschichte hautnah erleben lasst. Im Guten wie im Schlechten. ROMAIN LEICK, MATHIAS SCHREIBER, HANS-ULRICH STOLDT
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#2
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Technik- und Umweltsoziologe Ortwin
Renn, und dies in einer Zeit, in der auch die familiaren Bindungen oft schwacher wurden: „Da stellen sich viele immer drangender die Frage: Wo komme ich eigentlich her? Wo gehore ich hin?“ So werde Geschichte interessant, vor allem jene vor der eigenen Haustur. Doch wie lange ist ein Original noch ein Original? Was ist mit Gebauden, die nicht einmal mehr an ihrem Ursprungs - platz rekonstruiert wurden, wie das Leibnizhaus in Hannover? Und mit jenen Gebilden wie der 2007 in Braunschweig rekonstruierten klassizistischen Schlossfassade, hinter der sich eine glitzernde Ladengalerie auftut? Da sollten puristische Kritiker auch einen Blick auf die benachbarte Kaufhausfassade der sechziger Jahre wagen, eine Riesen-Waffel, die ihr Innenleben nicht weniger kaschiert als die Schlossfassade, nur eben viel scheu?licher aussieht. „In einem demokratischen Staat hat die Burgerschaft das Recht, die Gestaltung des offentlichen Raums zu bestimmen“, meint der Munchner Architekturhistoriker Winfried Nerdinger, „ob einem das nun im Einzelfall gefallt oder nicht.“ Enorm beflugelt hat alle Liebhaber historischer Baukunst der Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Dieses Vorhaben war zunachst ebenfalls umstritten. Das protestantische Gotteshaus, ein Stadt-, kein Staats- und Herrschaftssymbol, konne nur eine Attrappe darstellen, sei ein Phantom oder Teil eines Disneyland, atzten Kritiker. Doch getragen von einer breitgefacherten Burgerbewegung, war die Realisierung nicht aufzuhalten. Kaum jemand mag heute mehr an der Sinnhaftigkeit zweifeln. Ein wenig anders verhalt es sich bei der Rekonstruktion barocker Gebaude am Dresdner Neumarkt, einem vor 65 Jahren komplett zerstorten Areal. „Wir durfen nicht die Rentner bedienen, die noch mal ihre Vergangenheit sehen wollen“, polemisierte der geburtige Dresdner Architekt Peter Kulka, als erste Plane diskutiert wurden. Durchsetzen konnte er sich nicht. „Die Dresdner haben erstaunlich hartnackig an der Vorstellung festgehalten, dass ihre Stadt schon ist – auch als sie es nicht war“, so Dirk Syndram, Direktor des Grunen Gewolbes. Das erklart die Vehemenz, mit der sich viele Bewohner
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#3
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siedelten
sich am Flussufer an, hinzu gesellten sich Gaststatten, Clubs und Discotheken. Fur optische und asthetische Sensationen sorgten internationale Stararchitekten wie David Chipperfield oder Frank Gehry. Dessen 1999 fertiggestellte taumelnde Buroturme („Der Neue Zollhof“) sind langst ein Wahrzeichen der nordrhein- westfalischen Landeshauptstadt Heute wird die einstige Brache am Rhein „Medienhafen“ genannt und ist mit ihrer ungewohnlichen Architektur den Dusseldorfern ans Herz gewachsen. Ob Vergleichbares in Stuttgart ebenfalls gelingen kann, vermag derzeit al - lerdings niemand zu sagen. Nach gut 20 Jahren Planung ist dort Anfang Februar der Startschuss fur das zurzeit gro?te verkehrspolitische Projekt der Bundesrepublik gefallen: „Stuttgart 21“. Der Kopfbahnhof im Zentrum der Stadt soll nebst Gleisanlagen verschwinden und elf Meter unter der Erde als moderne Durchgangsstation wiedererstehen. Futuristisch anmutende, nach oben gewolbte riesige Bullaugen werden nach dem Willen des Dusseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven die Bahnsteige mit Tageslicht versorgen. Wo derzeit noch Gleise und Weichen liegen und Stuttgart uber eine weite Strecke regelrecht zerschneiden, sehen die Planer auf rund hundert Hektar eine neue Stadtmitte entstehen, mit Buroturmen, Wohnungen, Parks und Freizeitanlagen. „Wann bekommt eine europaische Gro?stadt so eine Chance?“, fragt Wolfgang Drexler, Vizeprasident des badenwurttembergischen Landtags und Kommunikationsbeauftragter fur das Projekt. „Diese verkehrspolitische Vision bringt eine Beschleunigung fur die ganze Region.“ Der Raumgewinn ist fur die von Hugeln eingekesselte Stadt in der Tat ein Segen, sie platzt aus allen Nahten. Doch die meisten Bewohner hadern. Und wahrend zum Auftakt der Bauarbeiten die Planer von einem „Jahrhundertwerk“ schwarmten, skandierten Demonstranten lautstark: „Lugenpack! Lugenpack!“ Etlichen missfallt die radikale Umgestaltung der gewohnten und gewachsenen Umgebung. Dass auch ein unter Denkmalschutz stehendes Wahrzeichen ihrer Stadt, das beinahe hundert Jahre alte Bahnhofsgebaude, teilweise Opfer der Abrissbirne wird; dass fast 300 alte Baume im Schlosspark weichen mussen (obwohl spater 5000 neue gepflanzt werden sollen) – das alles schurt den Widerstand. Die Leute hatten eben Angst, ein Stuck Heimat zu verlieren, sagt der Stuttgarter
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Ein ehrgeiziges Stadtebaukonzept ist
das, weit entfernt von jenen Errungenschaften der Nachkriegszeit, wo Trabantensiedlungen weitgehend isoliert auf das flache Land geworfen wurden. Kilometerlange Uferpromenaden sollen die stadtischen Arbeits- und Wohnstatten einrahmen, ein eigener Yachthafen und eine Universitat sind ebenfalls geplant. Und dazu, naturlich, die Elbphilharmonie. Nichts weniger als ein neues Wahrzeichen wollen sich die Hanseaten damit geben – gleich der Oper von Sydney. Finanziell noch ein Fass ohne Boden, werde der aufregende Bau aus gekrummtem Glas und rotem Backstein inmitten der Elbe Millionen Besucher aus aller Welt anziehen und den Hamburgern selbst reichlich Anlass geben, sich mit ihrer Heimatstadt frisch zu identifizieren. So zumindest die Erwartung. Dass moderne, spektakulare Bauten dies durchaus schaffen konnen, hat Dusseldorf bereits erlebt. Denn nicht allein die Tatsache, dass etwas alt ist, hilft Menschen, ihre Sehnsucht nach Bindung und Identitat zu stillen. Neues kann ebenfalls vorbildlich sein. Das zeigt die weitgehende Umwidmung des mehr als 100 Jahre alten Dusseldorfer Hafens. Hier, am Rheinknie, dammerten gro?e Teile des einst au?erst vitalen Areals lange Zeit nahezu ausgestorben vor sich hin. Krane, Silos und Lagerhallen rosteten ungenutzt und zerfielen. Die Wende kam Anfang der neunziger Jahre, als die Stadt den Weg fur eine neue Nutzung frei gemacht hatte. Zahlreiche Unternehmen aus der Medienbranche siedelten
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Auf nichts haben Nachkriegserneuerer
tatsachlich so wenig Rucksicht genommen wie auf den jeweiligen geschichtlichen Ort, an den sie ihre naturnahen Siedlungs- Cluster und ihre schematischen Wohnmaschinen platzierten. Auch deshalb werben und werkeln uberall Altstadtvereine, die sich fur eine Wiederauferstehung unvergessener Bauten und Ensembles starkmachen. Bereits 1989 wurde in Hildesheim das im Krieg zerstorte fachwerkprachtige „Knochenhauer-Amtshaus“ von 1529 von den Toten auferweckt, es ersetzte das „Hotel Rose“, einen lieblosen Betonbau der sechziger Jahre. Im nordrhein-westfalischen Wesel muht sich seit langem schon eine Burgerinitiative, die ungewohnliche Fassade des mittlerweile 490 Jahre alten Rathauses im flamisch-gotischen Stil zu rekonstruieren. Und in Hamburg gehen die Menschen fur den Erhalt der wenigen noch bestehenden Hauser im „Gangeviertel“ auf die Stra?e. Nur 1500 Meter Luftlinie davon entfernt lasst sich betrachten, wie ein moderner Stadtteil entsteht, der nichts mehr mit jenem einst so eng und verwinkelt gebauten historischen Armenquartier gemein haben wird. Der Gegensatz wird krass ins Auge springen – und kann doch reizvoll harmonieren. Denn pragende, heimatstiftende Statten konnen sich sehr wohl auch aus Neuem entfalten. So wachst in Hamburg, einer noch wachsenden Metropole, die sich als Weltstadt versteht, auf 157 Hektar in unmittelbarer Nahe zum Stadtzentrum die Hafencity heran. Rund 40000 Menschen sollen hier spater in Buros, Geschaften und Restaurants Arbeit finden. Damit sich das Viertel auch mit Leben fullt, ist ein Drittel der gesamten Nutzflache fur Wohnraumbebauung ausgewiesen
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#6
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Abgrenzung zur bombastischen NaziAsthetik.
Der Souveran indes maulte. „Wenn ich 16 Millionen Mark hatte, wurde ich mir etwas anderes kaufen“, schrieb ein Besucher ins Gastebuch, ein anderer mochte nur auf Franzosisch deutlich werden: „Meine Meinung: Alles Merde.“ „Was der Oesterlen gemacht hat, war seinerzeit sehr progressiv“, sagt Kai Sommer von der Landtagsverwaltung und klopft an eines der Fenster. „Aber alles nur einfache Verglasung! Auch energetisch geht das ja gar nicht mehr!“ So denken die meisten Abgeordneten. Mitte Marz beschlossen sie, das seit 1983 unter Denkmalschutz stehende Gebaude abzurei?en. „Es ist naturlich einfach, aus heutiger Sicht zu sagen, das alles sei nicht gelungen“, urteilt Albert Speer, der 1934 geborene Frankfurter Stadteplaner und Sohn des gleichnamigen Hitler-Ministers. Aber: „Man bedenke die tatsachliche Situation nach 1945.“ Die Idee der modernen Architektur sei mit der utopischen Vorstellung verbunden gewesen, „durch besseres Bauen einen besseren Menschen schaffen“ zu konnen, so Speer. Damals hatten die aufgeklarten Geister nicht mehr zuruckschauen mogen, meint der Frankfurter Architekt Christoph Mackler, 59, „zwei Saulen neben - einander waren schon Faschismus“. Sein Vater, der einstige Dombaumeister Hermann Mackler, wollte im Jahr 1947 sogar dem Frankfurter Dom ein Flachdach verpassen. In ihrer Besessenheit, modern, verkehrsgerecht und „ehrlich“ zu planen, habe die Generation seines Vaters vergessen, dass eine lebensfahige Stadt auch „mit Schonheit zu tun hat und Schonheit mit der Geschichte des Ortes verknupft ist, an dem man baut“, sagt Mackler.
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Nun fallt das Monster selbst: Neun historische
Hauser werden hier stattdessen wieder entstehen. Fast sieben Jahrzehnte nach dem Krieg bewegt das Land erneut und immer noch die hochst emotional diskutierte Frage: Was ist wert, bewahrt zu werden, und was an untergegangenen Ikonen sollte neu entstehen? Abgerissen werden nur selten die wirklich grausamen, seelenlosen Betonverbrechen mit Mullschluckereingangen, die endlich zu suhnen waren; dafur trifft es nun ofter gelungene und manchem liebgewordene Beispiele des Wiederaufbaus; die Mensa der Bauhaus-Universitat in Weimar etwa oder das niedersachsische Parlament in Hannover. Seit 1962 beraten hier die Abgeordneten die Geschicke ihres Landes – was die au?eren Umstande angeht, zunehmend lustlos. Vor allem wenn Schwefelwasserstoff- Schwaden, die der Kanalisation entweichen, durch die Reihen des fenster - losen Plenarsaals („Bunker“) wabern. Bisweilen regnet es auch noch rein. Das ehrwurdige Haus ist leicht bau - fallig geworden, aus Metallverstrebungen bluht Rost, die Hausfassade ist bruchig und die Heizung defekt. Die raumhohe Verglasung des Foyers zum Innenhof des Gebaudes ist wegen her abfallender Scherben mit truber Plastikplane verklebt. Architekt Dieter Oesterlen hatte ab 1957 das im Krieg zerstorte alte Schloss der Welfenkonige zum Entzucken vieler Hannoveraner wieder aufgebaut und ihm – da war die Freude dann schon geringer – einen modernen, kantigen Trakt mit Garten-Innenhof eingefugt: Platz fur das bis dahin in der Stadthalle beratende Landesparlament. Die Fachwelt war begeistert und sprach von einem mutigen Zeichen selbstbewusster Architektur in
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#8
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Dresdner Zwinger, die romanischen Kirchen
in Koln, die Frankfurter Paulskirche. Fur deren Wiederaufbau flossen 1947 Spenden aus allen Teilen Deutschlands nach Hessen, sogar 10 000 Reichsmark von der ostdeutschen Sozialistischen Einheitspartei (SED). Im geteilten Berlin uberlagerte die Konkurrenz der politischen Systeme den Richtungsstreit. Im Westen der Stadt entstanden auf den Trummern der Grunderzeitvillen im Hansaviertel gut geluftete, durchgrunte Hochhausreihen – wie es die Moderne befahl. Die Ost-Berliner revanchierten sich mit der Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee), deren Ideal strenge Symmetrie und formale Geschlossenheit war. Nach 1975, dem vom Europarat ausgerufenen Europaischen Denkmalschutzjahr, wandte sich der Zeitgeist im Westen allerdings endgultig der gebauten Vergangenheit in ihren diversen Formen zu. Ungezahlte Burgerinitiativen zur Rettung alter Hauser und Viertel haben hier ih ren Ausgang genommen. Spektakularer Auftakt war der Kampf zwischen Haus - besetzern und Grundstucksspekulanten im Frankfurter Westend, einem vom Krieg einigerma?en verschont gebliebenen Villenviertel westlich des mittelalterlich ge - pragten Zentrums der Stadt, mit herrschaftlichen, von wohlhabenden Burgern des 19. Jahrhunderts errichteten Hausern. Die linken Hausbesetzer, unter ihnen der spatere Grunen-Politiker und Bundesau?enminister Joschka Fischer, verteidigten die Kapitalisten von gestern gegen die Kapitalisten von heute: die komfor - tablen Wohnhullen und Garten der ehemaligen Kaufleute, Fabrikanten und Beamten gegen jene Finanz- und Immobilienhaie, die kostbare innerstadtische Quadratmeter Bauland an den meistbietenden Investor verkaufen wollten. Jeder, der 5000 Quadratmeter Grund erwarb, durfte darauf – egal wo im Westend – ein Hochhaus setzen. Nach den Hausbesetzer-Krawallen, auf die sich Rainer Werner Fassbinders umstrittenes Theaterstuck „Der Mull, die Stadt und der Tod“ 1975 bezog, war Schluss damit. Auch das Technische Rathaus in Frankfurt provozierte jahrzehntelang den Zorn vieler Anwohner. Das neben dem „Kaiserdom“ errichtete, dreifach aufgeturmte Waschbeton-Gebirge war im Jahr 1972 nach einem Bauplan von 1963 entstanden. Drei der wenigen nicht im Krieg zerbombten Altstadthauser mussten dafur weichen.
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#9
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Aus dem gro?en Nichts entstanden so
erstaunlich rasch neue Stra?en, Schulen, Krankenhauser und Siedlungen, wie die Grindelhochhauser in Hamburg. Noch wahrend der sechziger Jahre wurden jahrlich im Schnitt 570000 Wohneinheiten produziert, im Rekordjahr 1973 waren es 714 000, dazu kamen zwischen 50000 und 150 000 neue Eigenheime. Von 1974 an schaffte auch die DDR eine Jahresproduktion von 100000 Wohneinheiten. In Westdeutschland entstanden wahrend der ersten 15 Nachkriegsjahre nicht weniger als 5,3 Millionen neue Wohnungen. Der Wiederaufbau und Neubau nach 1945 war eine fette Beute fur Architekten, Stadtplaner, Unternehmer und Baukombinate. Sie haben alle tuchtig zugepackt, aber auch nie zuvor so viel Geld verdient Die scharfe raumliche Trennung der klassischen Stadtfunktionen – wohnen, arbeiten, sich erholen – war allerdings keine neue deutsche Erfindung. Sie bildete das Kernstuck der beruhmten „Charta von Athen“, die auf einem internationalen Architektenkongress 1933 konzipiert und in der vom Schweizer Architekturstar Le Corbusier uberarbeiteten Fassung 1943 erstmals publiziert worden war. Die neuen Wohnviertel, die nach dieser Musterfibel der „funktionellen Stadt“ geplant wurden, waren „locker“ aufgeteilt und „gut durchluftet“. Das Motto lautete: „Licht und Luft fur alle!“ Mehr „Klarheit“ statt des „Durcheinanders“ der historischen Stadt mit all diesen „lastigen Nachbarn“. Das gesundere Lebensgefuhl in den sauberen Vor- und Satellitenstadten wollte sich indes nicht einstellen. Die sterile Umgebung erzeugte vielmehr Einsamkeit und Langeweile. Viele, die dorthin zogen, sehnten sich bald wieder aus den Ghettos zuruck nach der gemutlichen, chaotischen Enge der alten City. Einige Dinge gelangen in den Jahren nach 1945 immerhin: eine autogerechte Infrastruktur, wie auch immer man diesen morderischen Imperativ langfristig bewerten mag; die meist vereinfachende Reparatur etlicher herausragender Baudenkmaler, darunter das Charlottenburger Schloss in Berlin-West, das Karlsruher und das Stuttgarter Schloss, die Residenzen in Munchen und Wurzburg, der
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#10
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ses Werk der Zerstorung wird Segen wirken“,
kommentierte er das grausame Schicksal der Hansestadt und ihrer Bewohner, „das Wort des Fuhrers, dass die zerstorten Stadte schoner als vorher wiedererstehen werden, gilt doppelt fur Hamburg.“ Im Ubrigen: „Dem allergro?ten Teil der baulichen Zerstorungen weinen wir keine Trane nach.“ Nach dem Krieg durfte Gutschow wegen seiner NS-Verstrickungen nicht mehr fur offentliche Auftraggeber tatig sein. Das machte aber nichts: Ein Netz von alten Spezis versorgte ihn schnell wieder mit Arbeit. Anderswo in Deutschland funktionierten die alten Beziehungen ebenfalls prima. Vor allem in Dusseldorf wo sich ehemalige NS-Architekten gegenseitig Posten und Auftrage (unter Ausgrenzung fruherer Nazi-Gegner) zuschoben, kursierte bald ein Spottvers: „Aller Anfang ist der Ziegel und dann spater der Zement, aber nichts halt so zusammen wie ’ne Clique, die sich kennt.“ Und diese Clique tat nun so, als hatte sie mit der einstigen bombastischen Nazi- Architektur und deren gro?enwahnsinniger Ideologie rein gar nichts zu tun gehabt. Speers Architekten versteckten sich nach dem Krieg hinter dem Bauhausstil, der Moderne, wie sie schon vor 1933 von Walter Gropius und Co. entwickelt worden war. Das Bauhaus galt als Ausweis des besseren Deutschlands, weil die Nazis gegen deren Vertreter vorgegangen waren. Jeder vormalige NS-Stadtgestalter, der sich bei seiner Arbeit nun auf Gropius bezog, fuhlte sich fast wie ein Widerstandskampfer – auch sie wollten ja luftiger bauen, neuer, und ohne den Ballast des historischen Zeugs. Neue Maschinen und Bautechniken verwandelten die traditionell gemachliche stadtebauliche Entwicklung vor allem in Westdeutschland in ein hastiges Umwalzungsspektakel. Das imponierte allein schon durch sein Tempo. Wirtschaftlich war dies nur moglich, weil die Westmachte die Bundesrepublik Deutschland als starken Bundnispartner gegen die So - wjetunion brauchten und darum massiv, unter anderem uber den Marshallplan, unterstutzten.
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