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  #1  
Старый 24.05.2011, 04:37
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По умолчанию Auferstanden aus Ruinen

gegen jede Abweichung vom Historischen,
gegen jede Anspielung auf zeitgenossische
Architektur stemmen.
Nur einer ist dabei, der Stadt einen sichtbaren
Kontrapunkt zu setzen: Daniel Libes -
kind. Der amerikanische Architekt baut
derzeit das Militarhistorische Museum der
Bundeswehr um, ein uber hundert Jahre
altes klassizistisches Ensemble. Mitten hin -
ein pflanzt Libeskind einen 30 Meter hohen,
neben dem Eingang aufragenden spitzen
Keil, der das Gebaude nach au?en hin teilt,
sich im Inneren aber mit ihm verbindet.
Der storende Dorn weist uber den Fluss
hinweg direkt auf die Dresdner Altstadt.
Vielleicht helfen solche Beispiele, Gegner
und Liebhaber moderner Bauten zu
versohnen, das Neue sinnvoll im Alten
sichtbar zu machen. Denn bedenkenswert
sind jene Einwande schon, die gegen
eine uferlose und unreflektierte Rekonstruktion
historischer Gebaude vorgebracht
werden.
Vor einer „Retrowelt“, in der nicht
mehr sei, was es scheine, warnt Architekturkritiker
Pehnt. In vielen Stadten
prasentiere sich heute das, was Historisches
darstellen solle, neu wie am ersten
Tag. Ein Paradox: „Nur das, was makellos
erscheint, ist alt, sonst ware es ja renoviert
worden“, so Pehnt. Er pladiert dafur,
behutsamer und nachdenklicher vorzugehen,
„das Vorhandene aufzunehmen,
ohne das Neue zu verleugnen“.
Meisterlich gelungen ist dies dem britischen
Architekten David Chipperfield
mit einem der uber Jahre umstrittensten
Bauvorhaben der Republik: dem Neuen
Museum in Berlin.
Das vor einem halben Jahr eroffnete
Haus, in dem originale Bauteile mit modernem
Material verknupft und Folgen
von Verwitterung und Krieg konserviert
werden, beweist eine eindrucksvolle Synthese
von Alt und Neu, von Ruinenkultur
und zeitgenossischem Bauen.
Dabei steht das Neue Museum wie die
ganze wiedervereinigte Stadt fur die Bruche
in der wechselhaften deutschen Geschichte.
Aufstieg, Niedergang und Wiederaufbau,
Humanismus, Gro?enwahn
und Barbarei haben an vielen Orten ihre
sichtbaren Spuren hinterlassen.
Die Verwerfungen und Wunden bewusst
nicht von der Sehnsucht nach dem
Alten und (vermeintlich) Heilen uberdecken
zu lassen, sondern sich – siehe Holocaust-
Mahnmal – auch der Schande zu
bekennen, die eigene Vergangenheit gewisserma?en
zu kommentieren: Das demonstriert
Berlin ziemlich konsequent.
Der Reiz der Hauptstadt fur jahrlich
fast acht Millionen Besucher aus aller
Welt geht gerade davon aus, dass sich
hier wie nirgendwo sonst in Deutschland
Zeitgeschichte hautnah erleben lasst.
Im Guten wie im Schlechten.
ROMAIN LEICK, MATHIAS SCHREIBER,
HANS-ULRICH STOLDT
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  #2  
Старый 24.05.2011, 04:40
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Technik- und Umweltsoziologe Ortwin
Renn, und dies in einer Zeit, in der auch
die familiaren Bindungen oft schwacher
wurden: „Da stellen sich viele immer
drangender die Frage: Wo komme ich eigentlich
her? Wo gehore ich hin?“ So
werde Geschichte interessant, vor allem
jene vor der eigenen Haustur.
Doch wie lange ist ein Original noch
ein Original? Was ist mit Gebauden, die
nicht einmal mehr an ihrem Ursprungs -
platz rekonstruiert wurden, wie das Leibnizhaus
in Hannover? Und mit jenen
Gebilden wie der 2007 in Braunschweig
rekonstruierten klassizistischen Schlossfassade,
hinter der sich eine glitzernde
Ladengalerie auftut?
Da sollten puristische Kritiker auch einen
Blick auf die benachbarte Kaufhausfassade
der sechziger Jahre wagen, eine
Riesen-Waffel, die ihr Innenleben nicht
weniger kaschiert als die Schlossfassade,
nur eben viel scheu?licher aussieht.
„In einem demokratischen Staat hat die
Burgerschaft das Recht, die Gestaltung
des offentlichen Raums zu bestimmen“,
meint der Munchner Architekturhistoriker
Winfried Nerdinger, „ob einem das
nun im Einzelfall gefallt oder nicht.“
Enorm beflugelt hat alle Liebhaber historischer
Baukunst der Wiederaufbau der
Dresdner Frauenkirche. Dieses Vorhaben
war zunachst ebenfalls umstritten. Das
protestantische Gotteshaus, ein Stadt-,
kein Staats- und Herrschaftssymbol, konne
nur eine Attrappe darstellen, sei ein
Phantom oder Teil eines Disneyland, atzten
Kritiker. Doch getragen von einer
breitgefacherten Burgerbewegung, war
die Realisierung nicht aufzuhalten. Kaum
jemand mag heute mehr an der Sinnhaftigkeit
zweifeln.
Ein wenig anders verhalt es sich bei
der Rekonstruktion barocker Gebaude
am Dresdner Neumarkt, einem vor 65
Jahren komplett zerstorten Areal. „Wir
durfen nicht die Rentner bedienen, die
noch mal ihre Vergangenheit sehen wollen“,
polemisierte der geburtige Dresdner
Architekt Peter Kulka, als erste Plane diskutiert
wurden.
Durchsetzen konnte er sich nicht.
„Die Dresdner haben erstaunlich hartnackig
an der Vorstellung festgehalten,
dass ihre Stadt schon ist – auch als sie es
nicht war“, so Dirk Syndram, Direktor
des Grunen Gewolbes. Das erklart die
Vehemenz, mit der sich viele Bewohner
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  #3  
Старый 31.05.2011, 17:51
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siedelten
sich am Flussufer an, hinzu gesellten
sich Gaststatten, Clubs und Discotheken.
Fur optische und asthetische Sensationen
sorgten internationale Stararchitekten
wie David Chipperfield oder Frank
Gehry. Dessen 1999 fertiggestellte taumelnde
Buroturme („Der Neue Zollhof“)
sind langst ein Wahrzeichen der nordrhein-
westfalischen Landeshauptstadt
Heute wird die einstige Brache am
Rhein „Medienhafen“ genannt und ist
mit ihrer ungewohnlichen Architektur
den Dusseldorfern ans Herz gewachsen.
Ob Vergleichbares in Stuttgart ebenfalls
gelingen kann, vermag derzeit al -
lerdings niemand zu sagen. Nach gut 20
Jahren Planung ist dort Anfang Februar
der Startschuss fur das zurzeit gro?te
verkehrspolitische Projekt
der Bundesrepublik gefallen:
„Stuttgart 21“.
Der Kopfbahnhof im Zentrum
der Stadt soll nebst Gleisanlagen
verschwinden und elf
Meter unter der Erde als moderne
Durchgangsstation wiedererstehen.
Futuristisch anmutende,
nach oben gewolbte
riesige Bullaugen werden nach
dem Willen des Dusseldorfer
Architekten Christoph Ingenhoven
die Bahnsteige mit Tageslicht
versorgen.
Wo derzeit noch Gleise und
Weichen liegen und Stuttgart
uber eine weite Strecke regelrecht
zerschneiden, sehen
die Planer auf rund hundert
Hektar eine neue Stadtmitte
entstehen, mit Buroturmen,
Wohnungen, Parks und Freizeitanlagen.
„Wann bekommt eine europaische
Gro?stadt so eine Chance?“, fragt Wolfgang
Drexler, Vizeprasident des badenwurttembergischen
Landtags und Kommunikationsbeauftragter
fur das Projekt.
„Diese verkehrspolitische Vision bringt
eine Beschleunigung fur die ganze Region.“
Der Raumgewinn ist fur die von Hugeln
eingekesselte Stadt in der Tat ein
Segen, sie platzt aus allen Nahten. Doch
die meisten Bewohner hadern. Und wahrend
zum Auftakt der Bauarbeiten die
Planer von einem „Jahrhundertwerk“
schwarmten, skandierten Demonstranten
lautstark: „Lugenpack! Lugenpack!“
Etlichen missfallt die radikale Umgestaltung
der gewohnten und gewachsenen
Umgebung. Dass auch ein unter Denkmalschutz
stehendes Wahrzeichen ihrer
Stadt, das beinahe hundert Jahre alte
Bahnhofsgebaude, teilweise Opfer der
Abrissbirne wird; dass fast 300 alte Baume
im Schlosspark weichen mussen (obwohl
spater 5000 neue gepflanzt werden
sollen) – das alles schurt den Widerstand.
Die Leute hatten eben Angst, ein Stuck
Heimat zu verlieren, sagt der Stuttgarter
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  #4  
Старый 31.05.2011, 17:54
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Ein ehrgeiziges Stadtebaukonzept ist
das, weit entfernt von jenen Errungenschaften
der Nachkriegszeit, wo Trabantensiedlungen
weitgehend isoliert auf das
flache Land geworfen wurden.
Kilometerlange Uferpromenaden sollen
die stadtischen Arbeits- und Wohnstatten
einrahmen, ein eigener Yachthafen und
eine Universitat sind ebenfalls geplant.
Und dazu, naturlich, die Elbphilharmonie.
Nichts weniger als ein neues Wahrzeichen
wollen sich die Hanseaten damit geben –
gleich der Oper von Sydney.
Finanziell noch ein Fass ohne Boden,
werde der aufregende Bau aus gekrummtem
Glas und rotem Backstein inmitten
der Elbe Millionen Besucher aus aller
Welt anziehen und den Hamburgern
selbst reichlich Anlass geben, sich mit ihrer
Heimatstadt frisch zu identifizieren.
So zumindest die Erwartung.
Dass moderne, spektakulare Bauten
dies durchaus schaffen konnen, hat Dusseldorf
bereits erlebt.
Denn nicht allein die Tatsache, dass etwas
alt ist, hilft Menschen, ihre Sehnsucht
nach Bindung und Identitat zu stillen.
Neues kann ebenfalls vorbildlich sein.
Das zeigt die weitgehende Umwidmung
des mehr als 100 Jahre alten Dusseldorfer
Hafens. Hier, am Rheinknie, dammerten
gro?e Teile des einst au?erst vitalen
Areals lange Zeit nahezu ausgestorben
vor sich hin. Krane, Silos und Lagerhallen
rosteten ungenutzt und zerfielen.
Die Wende kam Anfang der neunziger
Jahre, als die Stadt den Weg fur eine neue
Nutzung frei gemacht hatte. Zahlreiche
Unternehmen aus der Medienbranche siedelten
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  #5  
Старый 31.05.2011, 17:55
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Auf nichts haben Nachkriegserneuerer
tatsachlich so wenig Rucksicht genommen
wie auf den jeweiligen geschichtlichen
Ort, an den sie ihre naturnahen Siedlungs-
Cluster und ihre schematischen
Wohnmaschinen platzierten. Auch deshalb
werben und werkeln uberall Altstadtvereine,
die sich fur eine Wiederauferstehung
unvergessener Bauten und Ensembles
starkmachen.
Bereits 1989 wurde in Hildesheim das
im Krieg zerstorte fachwerkprachtige
„Knochenhauer-Amtshaus“ von 1529 von
den Toten auferweckt, es ersetzte das
„Hotel Rose“, einen lieblosen Betonbau
der sechziger Jahre.
Im nordrhein-westfalischen Wesel
muht sich seit langem schon eine
Burgerinitiative,
die ungewohnliche Fassade des
mittlerweile 490 Jahre alten Rathauses
im flamisch-gotischen Stil zu rekonstruieren.
Und in Hamburg gehen die Menschen
fur den Erhalt der wenigen noch
bestehenden Hauser im „Gangeviertel“
auf die Stra?e.
Nur 1500 Meter Luftlinie davon entfernt
lasst sich betrachten, wie ein moderner
Stadtteil entsteht, der nichts mehr
mit jenem einst so eng und verwinkelt
gebauten historischen Armenquartier gemein
haben wird. Der Gegensatz wird
krass ins Auge springen – und kann doch
reizvoll harmonieren. Denn pragende,
heimatstiftende Statten konnen sich sehr
wohl auch aus Neuem entfalten.
So wachst in Hamburg, einer noch
wachsenden Metropole, die sich als Weltstadt
versteht, auf 157 Hektar in unmittelbarer
Nahe zum Stadtzentrum die Hafencity
heran. Rund 40000 Menschen sollen
hier spater in Buros, Geschaften und
Restaurants Arbeit finden. Damit sich das
Viertel auch mit Leben fullt, ist ein Drittel
der gesamten Nutzflache fur Wohnraumbebauung
ausgewiesen
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  #6  
Старый 31.05.2011, 17:58
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Abgrenzung zur bombastischen NaziAsthetik.
Der Souveran indes maulte. „Wenn ich
16 Millionen Mark hatte, wurde ich mir
etwas anderes kaufen“, schrieb ein Besucher
ins Gastebuch, ein anderer mochte
nur auf Franzosisch deutlich werden:
„Meine Meinung: Alles Merde.“
„Was der Oesterlen gemacht hat, war
seinerzeit sehr progressiv“, sagt Kai Sommer
von der Landtagsverwaltung und
klopft an eines der Fenster. „Aber alles
nur einfache Verglasung! Auch energetisch
geht das ja gar nicht mehr!“ So
denken die meisten Abgeordneten. Mitte
Marz beschlossen sie, das seit 1983 unter
Denkmalschutz stehende Gebaude
abzurei?en.
„Es ist naturlich einfach, aus heutiger
Sicht zu sagen, das alles sei nicht gelungen“,
urteilt Albert Speer, der 1934 geborene
Frankfurter Stadteplaner und Sohn
des gleichnamigen Hitler-Ministers. Aber:
„Man bedenke die tatsachliche Situation
nach 1945.“ Die Idee der modernen Architektur
sei mit der utopischen Vorstellung
verbunden gewesen, „durch besseres
Bauen einen besseren Menschen schaffen“
zu konnen, so Speer.
Damals hatten die aufgeklarten Geister
nicht mehr zuruckschauen mogen,
meint der Frankfurter Architekt Christoph
Mackler, 59, „zwei Saulen neben -
einander waren schon Faschismus“. Sein
Vater, der einstige Dombaumeister Hermann
Mackler, wollte im Jahr 1947 sogar
dem Frankfurter Dom ein Flachdach verpassen.
In ihrer Besessenheit, modern, verkehrsgerecht
und „ehrlich“ zu planen,
habe die Generation seines Vaters vergessen,
dass eine lebensfahige Stadt auch
„mit Schonheit zu tun hat und Schonheit
mit der Geschichte des Ortes verknupft
ist, an dem man baut“, sagt Mackler.
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  #7  
Старый 31.05.2011, 17:59
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Nun fallt das Monster selbst: Neun historische
Hauser werden hier stattdessen
wieder entstehen.
Fast sieben Jahrzehnte nach dem Krieg
bewegt das Land erneut und immer noch
die hochst emotional diskutierte Frage:
Was ist wert, bewahrt zu werden, und
was an untergegangenen Ikonen sollte
neu entstehen?
Abgerissen werden nur selten die wirklich
grausamen, seelenlosen Betonverbrechen
mit Mullschluckereingangen, die
endlich zu suhnen waren; dafur trifft es
nun ofter gelungene und manchem liebgewordene
Beispiele des Wiederaufbaus;
die Mensa der Bauhaus-Universitat in
Weimar etwa oder das niedersachsische
Parlament in Hannover.
Seit 1962 beraten hier die Abgeordneten
die Geschicke ihres Landes – was die
au?eren Umstande angeht, zunehmend
lustlos. Vor allem wenn Schwefelwasserstoff-
Schwaden, die der Kanalisation entweichen,
durch die Reihen des fenster -
losen Plenarsaals („Bunker“) wabern. Bisweilen
regnet es auch noch rein.
Das ehrwurdige Haus ist leicht bau -
fallig geworden, aus Metallverstrebungen
bluht Rost, die Hausfassade ist bruchig
und die Heizung defekt. Die raumhohe
Verglasung des Foyers zum Innenhof
des Gebaudes ist wegen her abfallender
Scherben mit truber Plastikplane verklebt.
Architekt Dieter Oesterlen hatte ab
1957 das im Krieg zerstorte alte Schloss
der Welfenkonige zum Entzucken vieler
Hannoveraner wieder aufgebaut und ihm
– da war die Freude dann schon geringer
– einen modernen, kantigen Trakt mit
Garten-Innenhof eingefugt: Platz fur das
bis dahin in der Stadthalle beratende
Landesparlament. Die Fachwelt war begeistert
und sprach von einem mutigen
Zeichen selbstbewusster Architektur in
__________________
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  #8  
Старый 31.05.2011, 18:04
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Dresdner Zwinger, die romanischen Kirchen
in Koln, die Frankfurter Paulskirche.
Fur deren Wiederaufbau flossen 1947
Spenden aus allen Teilen Deutschlands
nach Hessen, sogar 10 000 Reichsmark
von der ostdeutschen Sozialistischen Einheitspartei
(SED).
Im geteilten Berlin uberlagerte die
Konkurrenz der politischen Systeme den
Richtungsstreit. Im Westen der Stadt
entstanden auf den Trummern der Grunderzeitvillen
im Hansaviertel gut geluftete,
durchgrunte Hochhausreihen – wie
es die Moderne befahl. Die Ost-Berliner
revanchierten sich mit der Stalinallee
(heute Karl-Marx-Allee), deren Ideal
strenge Symmetrie und formale Geschlossenheit
war.
Nach 1975, dem vom Europarat
ausgerufenen Europaischen
Denkmalschutzjahr,
wandte sich der Zeitgeist im
Westen allerdings endgultig
der gebauten Vergangenheit
in ihren diversen Formen zu.
Ungezahlte Burgerinitiativen
zur Rettung alter Hauser und
Viertel haben hier ih ren Ausgang
genommen.
Spektakularer Auftakt war
der Kampf zwischen Haus -
besetzern und Grundstucksspekulanten
im Frankfurter
Westend, einem vom Krieg
einigerma?en verschont gebliebenen
Villenviertel westlich
des mittelalterlich ge -
pragten Zentrums der Stadt,
mit herrschaftlichen, von
wohlhabenden Burgern des
19. Jahrhunderts errichteten
Hausern.
Die linken Hausbesetzer, unter ihnen
der spatere Grunen-Politiker und Bundesau?enminister
Joschka Fischer, verteidigten
die Kapitalisten von gestern gegen
die Kapitalisten von heute: die komfor -
tablen Wohnhullen und Garten der ehemaligen
Kaufleute, Fabrikanten und Beamten
gegen jene Finanz- und Immobilienhaie,
die kostbare innerstadtische
Quadratmeter Bauland an den meistbietenden
Investor verkaufen wollten.
Jeder, der 5000 Quadratmeter Grund
erwarb, durfte darauf – egal wo im Westend
– ein Hochhaus setzen. Nach den
Hausbesetzer-Krawallen, auf die sich
Rainer Werner Fassbinders umstrittenes
Theaterstuck „Der Mull, die Stadt und
der Tod“ 1975 bezog, war Schluss damit.
Auch das Technische Rathaus in Frankfurt
provozierte jahrzehntelang den Zorn
vieler Anwohner. Das neben dem „Kaiserdom“
errichtete, dreifach aufgeturmte
Waschbeton-Gebirge war im Jahr 1972
nach einem Bauplan von 1963 entstanden.
Drei der wenigen nicht im Krieg zerbombten
Altstadthauser mussten dafur
weichen.
__________________
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  #9  
Старый 02.06.2011, 06:49
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Aus dem gro?en Nichts entstanden so
erstaunlich rasch neue Stra?en, Schulen,
Krankenhauser und Siedlungen, wie die
Grindelhochhauser in Hamburg. Noch
wahrend der sechziger Jahre wurden jahrlich
im Schnitt 570000 Wohneinheiten
produziert, im Rekordjahr 1973 waren es
714 000, dazu kamen zwischen 50000 und
150 000 neue Eigenheime. Von 1974 an
schaffte auch die DDR eine Jahresproduktion
von 100000 Wohneinheiten. In
Westdeutschland entstanden wahrend der
ersten 15 Nachkriegsjahre nicht weniger
als 5,3 Millionen neue Wohnungen.
Der Wiederaufbau und Neubau nach
1945 war eine fette Beute fur Architekten,
Stadtplaner, Unternehmer und Baukombinate.
Sie haben alle tuchtig zugepackt,
aber auch nie zuvor so viel Geld verdient
Die scharfe raumliche Trennung der
klassischen Stadtfunktionen – wohnen, arbeiten,
sich erholen – war allerdings keine
neue deutsche Erfindung. Sie bildete das
Kernstuck der beruhmten „Charta von
Athen“, die auf einem internationalen
Architektenkongress 1933 konzipiert und
in der vom Schweizer Architekturstar Le
Corbusier uberarbeiteten Fassung 1943
erstmals publiziert worden war.
Die neuen Wohnviertel, die nach dieser
Musterfibel der „funktionellen Stadt“ geplant
wurden, waren „locker“ aufgeteilt
und „gut durchluftet“. Das Motto lautete:
„Licht und Luft fur alle!“ Mehr „Klarheit“
statt des „Durcheinanders“ der historischen
Stadt mit all diesen „lastigen Nachbarn“.
Das gesundere Lebensgefuhl in den
sauberen Vor- und Satellitenstadten wollte
sich indes nicht einstellen. Die sterile
Umgebung erzeugte vielmehr Einsamkeit
und Langeweile. Viele, die dorthin zogen,
sehnten sich bald wieder aus den Ghettos
zuruck nach der gemutlichen, chaotischen
Enge der alten City.
Einige Dinge gelangen in den Jahren
nach 1945 immerhin: eine autogerechte
Infrastruktur, wie auch immer man diesen
morderischen Imperativ langfristig bewerten
mag; die meist vereinfachende Reparatur
etlicher herausragender Baudenkmaler,
darunter das Charlottenburger
Schloss in Berlin-West, das Karlsruher
und das Stuttgarter Schloss, die Residenzen
in Munchen und Wurzburg, der
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  #10  
Старый 02.06.2011, 06:53
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ses Werk der Zerstorung wird Segen wirken“,
kommentierte er das grausame
Schicksal der Hansestadt und ihrer Bewohner,
„das Wort des Fuhrers, dass die
zerstorten Stadte schoner als vorher wiedererstehen
werden, gilt doppelt fur Hamburg.“
Im Ubrigen: „Dem allergro?ten
Teil der baulichen Zerstorungen weinen
wir keine Trane nach.“
Nach dem Krieg durfte Gutschow wegen
seiner NS-Verstrickungen nicht mehr
fur offentliche Auftraggeber tatig sein.
Das machte aber nichts: Ein Netz von
alten Spezis versorgte ihn schnell wieder
mit Arbeit. Anderswo in Deutschland
funktionierten die alten Beziehungen
ebenfalls prima. Vor allem in Dusseldorf
wo sich ehemalige NS-Architekten gegenseitig
Posten und Auftrage (unter Ausgrenzung
fruherer Nazi-Gegner) zuschoben,
kursierte bald ein Spottvers: „Aller
Anfang ist der Ziegel und dann spater
der Zement, aber nichts halt so zusammen
wie ’ne Clique, die sich kennt.“
Und diese Clique tat nun so, als hatte
sie mit der einstigen bombastischen Nazi-
Architektur und deren gro?enwahnsinniger
Ideologie rein gar nichts zu tun gehabt.
Speers Architekten versteckten sich
nach dem Krieg hinter dem Bauhausstil,
der Moderne, wie sie schon vor 1933 von
Walter Gropius und Co. entwickelt worden
war. Das Bauhaus galt als Ausweis
des besseren Deutschlands, weil die Nazis
gegen deren Vertreter vorgegangen waren.
Jeder vormalige NS-Stadtgestalter,
der sich bei seiner Arbeit nun auf Gropius
bezog, fuhlte sich fast wie ein Widerstandskampfer
– auch sie wollten ja luftiger
bauen, neuer, und ohne den Ballast
des historischen Zeugs.
Neue Maschinen und Bautechniken
verwandelten die traditionell gemachliche
stadtebauliche Entwicklung vor allem
in Westdeutschland in ein hastiges Umwalzungsspektakel.
Das imponierte allein
schon durch sein Tempo. Wirtschaftlich
war dies nur moglich, weil die Westmachte
die Bundesrepublik Deutschland als
starken Bundnispartner gegen die So -
wjetunion brauchten und darum massiv,
unter anderem uber den Marshallplan,
unterstutzten.
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