Heute bin ich ihr dankbar, doch damals gingen wir im Streit auseinander. Ich fuhlte mich ungerecht behandelt und wollte nicht mehr zu ihrem Unterricht. Nach einem Testgesprach bei dem Schulrektor durfte ich in die gewohnliche funfte Klasse.
Au?erhalb der Schule lief es erst mal nicht gut. Ich hatte mich mit Jungs gleicher Herkunft angefreundet, die bald in den Polizeiberichten der Stadt auftauchten. Nachdem meine Eltern davon erfahren hatten, warfen sie mich wortwortlich ins kalte Wasser – sie meldeten mich in einem Schwimmverein an. Schon in Kasachstan war ich in einem Schwimmclub. Nur lag der Unterschied darin, dass ich dort verstand, was meine Trainer von mir wollten, in Deutschland aber nicht. Doch ich hatte wieder Gluck. Meine neue Trainerin erklarte mir mit viel Geduld den Unterschied zwischen den Begriffen „Kraul“ und „Schmetterling“ und half mir, nicht nur mit den anderen zu schwimmen, sondern auch zu sprechen. Im Schwimmverein gab es keine weiteren Migranten. Und doch, mehr als 20 Jahre spater, gehort zu meinem Leben ein Freund, den ich damals beim Schwimmen kennengelernt hatte – ein Deutscher, dessen Eltern mehrere Jahre als Entwicklungshelfer in Afrika gelebt haben und diese Zeit als die schonste ihres Lebens betrachten.
Lange aber fuhlte ich mich nicht wohl in Deutschland. Ich fuhlte mich unsicher, auf der Stra?e genauso wie beim Backer oder beim Friseur. Die Worter „ich verstehe nicht“ waren lange meine Lieblingsworter. Dann lie? man mich in Ruhe und der Druck, eine fremde Sprache sauber zu sprechen, fiel ab. In gewisser Weise schottete ich mich ab – aber nicht aus Unwillen, mich zu integrieren. Es war ein Selbstschutz, um der alltaglichen emotionalen Belastung, die das Leben in der Fremde bedeutet, zu entfliehen.
Frau Ella dagegen wollte nichts davon horen, dass ich etwas nicht verstand. Sie war eine Spataussiedlerin aus Rumanien, Rentnerin, quicklebendig und sehr engagiert in einer Kirchengemeinde. Sie brachte den neu zugewanderten Kindern Deutsch bei. Zu ihr musste ich jeden Nachmittag nach der Schule, wenn ich kein Schwimmtraining hatte. Meine Gro?eltern und Eltern hatten dafur gesorgt, dass ich keine Zeit auf der Stra?e verlor. Was sich vorbildlich anhort, hatte aber auch eine Schattenseite. Ich verlernte die russische Sprache, die doch ein Teil meiner Identitat war.
Oft hort man in der Integrationsdebatte, dass sich anstrengen musse, wer nach Deutschland einwandere. So einfach ist es nicht. Der Jugendliche zum Beispiel, der damals meine Klassenkameraden schlagen wollte, bemuhte sich nicht weniger um einen guten Schulabschluss. Aber anders als ich kam er in einem Alter nach Deutschland, in dem er schon zu alt war fur die Orientierungsstufe. So kam er, weil er kein Deutsch sprach, gleich auf die Hauptschule – ein viel schlechterer Start, ganz ohne sein Verschulden.
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