Peter Sinner
Das schonste aller Erlebnisse meiner Kindheit war Weihnachten. Dieses gruselig-gluckseligkeitsvolle Fest leuchtet am allertiefsten in meine Kindheitserinnerungen hinein.
Christabend. Lichterloh brennende Miriaden von Sternen. Die ganze Welt verschneit. Gro?e glitzernde, flimmernde Schneeflocken sinken langsam zur Erde nieder. Helle Klange der Christmettglocken…
Drau?en auf den Gassen beginnt ein lustiges, heiteres Treiben: Meine Mutter und ich sind alleine zu Hause, die andern sind noch nicht aus der Kirche heimgekehrt. Wir stehen am Fenster und schauen dem Treiben zu.
Da kommt eine Gruppe von ledigen Madchen die Stra?e daher, auf unser Haus zu. In ihrer Mitte eine wei?e Gestalt. Das "Christkind". Hochste Erregung. au?erste Spannung. Das Herz schlagt mir so ungestum, als wolle es zum Halse herausspringen. Jetzt, jetzt…
- Klopp! klopp! - schallt es an die Haustur: "Darf's Christkind hinein?" -
"Eino, kommt rein!" ruft die Mutter.
Da steht sie vor mir, die unheimliche und doch liebliche Gestalt. Meine Knie schlottern, ich muss mich an der Mutter festhalten, um nicht zu fallen. Um nichts auf der Welt brachte ich einen Laut aus der Kehle.
"Ist er unartig?" fragt eine helle Madchenstimme unter der wei?en Hulle hervor.
"No, 's geht mit ihm", meldet sich meine Mutter.
"Lernt er flei?ig?"
"Das schon", erwidert die Mutter nicht ohne Stolz.
"Da muss ich meine Birkenrute wegstecken. Die ist nur fur Unartige und Faule. Das da ist fur Artige."
Das Christkind legt mir ein gro?es rotbuntes Taschentuch mit Su?igkeiten auf die Hande und eilt weiter in die Nachbarhauser. Ich bin so sehr erregt, dass es die Mutter viel Muhe kostet, mich abzulenken und zu zerstreuen.
Als nach einiger Zeit die Schwester mit gluhenden Wangen heimkommt, hore ich die Mutter resolut sagen:
"Des passeert m'r net meh! Die Kinner in Tod nei verschrecke! Dummheite!…
Drau?en auf der Gasse wird's immer lauter. Man hort Ketten rasseln, Kuhschellen bimmeln, Stimmen schallen, Pfiffe schrillen…
Eine Hollenmusik.
Eben zieht eine ganze Schar lediger Burschen und junger Manner vorbei. An ihrer Spitze eine gro?e, schwarze, zottige Gestalt.
"Herrje, was ist denn das?" fragte ich die Mutter, die hinter mir steht, wahrend ich, die Nase an die Scheibe gedruckt, durchs Fenster luge.
"Das ist der "Pelznickel"*). Der geht jetzt bein Hanjorgvetter (unsern Nachbar) und schlagt den alten Lugenfritzen lederweich, weil er die Leut' immer narrt."
"Kommt der auch bei uns?" frage ich, am ganzen Korper bebend.
"Nein, so was darf in unser Haus nicht", beruhigt sie mich. Sie nimmt mich auf den Scho? und beginnt zu scherzen. Aber ich frage und frage nach Zweck und Ursache der geschehenden geheimnisvollen Dinge…
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