Geschichte stellt sich immer ambivalent
dar, im Umgang mit ihren Reminiszenzen
lauern Fallen und tun sich Chancen
auf – Architektur ist nicht neutral.
Hat die rasende Geschwindigkeit des
Aufbaus das Land vielleicht auch uberfordert,
nicht materiell, wohl aber kulturpsychologisch,
wie sich erst heute an den
Spatfolgen zeigt? Oder ist der Wunsch
nach der Schonheit des Alten ein Zeichen
der Sattigung, ein Luxus, den man sich
erlaubt, wenn das Lebensnotwendige gesichert
scheint?
Jahrhundertelang wurde die europaische
Kulturlandschaft davon gepragt, dass
urbanistische und architektonische Erneuerung
in der Regel als ruhiger Fluss,
als kontinuierliche Entwicklung ablief.
Ausnahmekatastrophen unterbrachen
den Prozess, gewiss, aber keine war so
total wie der Zweite Weltkrieg.
Ohne dieses flachendeckende Desaster
und die als Regelwerk darauf folgende,
an jeden Ort der Welt verpflanzbare Banalmoderne
ist nicht zu verstehen, war -
um historische Bausubstanz und malerische
Altstadte heute so popular sind.
„Zu hohes Veranderungstempo ruft
nach Ruckversicherung“, schreibt der
Architekturkritiker Wolfgang Pehnt. Und
das gilt, trotz aller Leistungen, fur den
gesamten deutschen Wiederaufbau seit
Mitte der funfziger Jahre.
Es ist ja wahrlich nicht alles gelungen
in jener chaotischen Aufbauzeit nach
1945, als es zunachst ganz einfach darum
ging, den Schutt beiseitezuraumen und
den Menschen ein Dach uber dem Kopf
zu geben. Es musste ja schnell gehen,
mehr improvisiert als durchdacht, die Einzigartigkeit
der Not in Deutschland lie?
uber viele Fehler hinwegsehen.
In den Stadten hungerten die Menschen.
Wer einen Quadratmeter Krume
im Hinterhof besa?, zog dort Gemuse,
Kartoffeln oder Tabak. Parks, Tiergarten
und Stadien wandelten sich zu landwirtschaftlichen
Nutzflachen.
Alles, was irgendwie verwertbar war,
kam in den Topf. Hei?begehrt waren Rezepte
fur Eichelkaffee, Brennnesselpudding,
Lowenzahngemuse oder „Nachtkerzenwurzeln
in hollandischer Tunke“, deren
Zubereitung die Zeitschrift „Frau von
heute“ 1947 verriet.
Kinder bekamen den Rat, am Abend
die Hande auf den Bauch zu pressen, um
so ein Sattigungsgefuhl zu simulieren, und
zum Volkssport wurde das „Fringsen“, genannt
nach dem Kolner Kardinal Josef
Frings, der auch die unkonventionelle Beschaffung
von Lebensmitteln verteidigte.
Von ehemals 16 Millionen Wohnungen
existierten 2,5 Millionen nicht mehr,
4 Millionen waren wegen erheblicher
Schaden kaum zu nutzen.
__________________
Снова светит солнце, снова светится душа, и пасмурно не будет больше никогда!!!
|